Hier finden Sie die neuesten Leitsätze zu Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Hamm.
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In Klammern angegeben finden Sie das Datum der Entscheidung.
1 SHa 16/24 (30.08.2024)
Stellt sich ein Ersuchen gem. §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO auf Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts als eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Gerichts dar, kann der Antrag als rechtsmissbräuchlich verworfen werden. Substanzlose und offensichtlich aussichtslose Anträge oder Eingaben, durch die die Arbeitskapazität des Gerichts rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen wird, müssen im Übrigen nicht beschieden werden. Eine Entscheidung stellte eine unverhältnismäßige und nicht hinnehmbare Behinderung der Erfüllung justizieller Aufgaben dar.
4 Sa 1156/23 (08.05.2024)
1. Zur Höchstbefristung auf das Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung.
2. Behauptet der Arbeitnehmer hinsichtlich des Schriftformerfordernisses nach § 14 Abs. 4 TzBfG, die arbeitgeberseitige Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag sei lediglich eingescannt, ohne dass es dafür den geringsten Anhaltspunkt gibt, handelt es sich um eine unbeachtliche Behauptung „ins Blaue hinein“.
3. Ungeachtet der Frage, ob der Wegfall der Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.2022 gültigen Fassung eine Neubewertung des § 41 Satz 2 SGB VI erfordert, macht sich der Arbeitgeber jedenfalls nicht schadensersatzpflichtig, wenn er sich Anfang 2023 auf die Wirksamkeit einer im Arbeitsvertrag vereinbarten auflösenden Bedingung für den Fall der Inanspruchnahme einer vor-gezogenen Altersrente beruft.
18 Sa 1057/23 (18.04.2024)
Die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 1 ETV-DP AG in der Fassung gemäß Tarifvertrag Nr. 200 vom 22.03.2019, der zwischen der Deutschen Post AG und ver.di abgeschlossen wurde, verstößt gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Die Stichtagsregelung stellt eine mittelbare Benachteiligung der Arbeitnehmer dar, die vor dem Stichtag befristet beschäftigt waren und über den Stichtag hinaus weiterbeschäftigt werden, weil die Neubegründung eines befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnisses nach dem Stichtag zu längeren Stufenlaufzeiten führt. Diese mittelbare Benachteiligung ist durch Sachgründe nicht gerechtfertigt.
18 SLa 92/24 (18.04.2024)
Bei einer Inflationsausgleichsprämie handelt es sich um pfändbares Arbeitseinkommen. Die Inflationsausgleichsprämie stellt keine nicht übertragbare Forderung i.S.d. § 850 ZPO und keine Erschwerniszulage i.S.d. § 850a Nr. 3 ZPO dar.
7 TaBV 7/24 (16.04.2024)
1. Die Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung an eine Partei (einen Beteiligten) selbst ist wirksam, wenn ein (Prozess-)Verfahrensbevollmächtigter eine entsprechende Bevollmächtigung ggü. dem Gericht mitgeteilt hat.
2. Kann ein Antrag/eine Klage unter der in der (Klage-)Antragsschrift genannten Anschrift (hier: Sitz eines gemeinsamen Betriebes) zugestellt werden und gibt es während des gesamten Verfahrens in erster Instanz weder aus der Akte noch aus dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien (Beteiligten) irgendeinen Hinweis darauf, dass unter einer anderen Anschrift (hier: Sitz der Gesellschaft) zugestellt werden soll, so ist die Zustellung der Entscheidung an die in der Antragsschrift bezeichnete Anschrift wirksam.
18 Sa 1001/23 (11.04.2024)
1. Ist in einem gerichtlichen Vergleich bestimmt, dass dieser allein durch einen bei Gericht eingehenden Schriftsatz widerrufen werden kann, so erfordert der wirksame Widerruf des Vergleichs im Wege eines anwaltlichen Schriftsatzes die Übermittlung eines elektronischen Dokuments gem. § 46g S. 1 ArbGG.
2. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, so ist der Widerruf des Vergleichs durch Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 46g S. 3 ArbGG). Erfolgt der Widerruf in diesem Fall durch ein Telefax-Schreiben des Prozessbevollmächtigten, so ist es nach § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 130 Nr. 6 ZPO erforderlich, dass das Telefax-Schreiben die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten wiedergibt.
3. Fehlt bei einem zweiseitigen Telefax-Schreiben des Prozessbevollmächtigten, das aus einem Vergleichswiderrufsschreiben und einem Begleitschreiben besteht, die Unterschrift auf dem Vergleichswiderruf, so reicht die Unterzeichnung des Begleitschreibens jedenfalls dann nicht aus, wenn das Begleitschreiben nicht Bezug auf den Widerruf des Vergleichs nimmt und die Urheberschaft des Vergleichswiderrufs nicht eindeutig feststeht.
4. Wird dann der Widerruf des Vergleichs dem Gericht nach Ablauf der Widerrufsrist als elektronisches Dokument zugeleitet, scheidet eine Rückwirkung nach § 46d Abs. 6 S. 2 ArbGG aus.
5. Ist innerhalb der im gerichtlichen Vergleich vorgesehenen Widerrufsfrist kein formwirksamer Widerruf bei Gericht eingegangen, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Mit einem gerichtlichen Hinweis auf die Formunwirksamkeit des Widerrufs kann jedenfalls am letzten Tag der Widerrufsfrist nach dem Ende der gerichtlichen Servicezeiten nicht gerechnet werden.
13 Ta 54/24 (26.02.2024)
1. Hat bereits ein Prozesskostenhilfeverfahren über den gleichen Streitgegenstand stattgefunden, steht einer wiederholten Antragstellung keine materielle Rechtskraft eines früheren Beschlusses entgegen. Für einen erneuten Antrag kann jedoch ausnahmsweise das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn das Recht zur wiederholten Stellung des Antrages missbraucht wird. Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn bei dem früheren Antrag eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse oder Belege nicht vorgelegt worden sind und dies mit dem weiteren Antrag nachgeholt wird
2. Der Erfolgsaussicht iSd § 114 Abs. 1 ZPO steht nicht entgegen, dass das Verfahren bereits durch eine klageabweisende Entscheidung beendet worden ist. Ist das Prozesskostenhilfegesuch rechtzeitig, formgerecht und mit den erforderlichen Belegen eingegangen, aber vom Gericht vor Instanzbeendigung nicht oder nicht richtig beschieden worden, so ist für die Beurteilung der Erfolgsaussichten auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen
8 Sa 845/23 (15.02.2024)
Eine in einem Einzelfall vom Arbeitnehmer gegenüber einem Kunden des Arbeitgebers angebotene, dem Umfang nach geringfügige und unentgeltliche Gefälligkeitsleistung in dessen Marktbereich ist als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung bereits an sich nicht geeignet, wenn sie außerhalb der Arbeitszeit erbracht werden sollte und dadurch geschützte Markt- oder Wettbewerbsinteressen des Arbeitgebers nicht berührt werden. Auf die rechtliche Einordnung der fraglichen Leistung als Schwarzarbeit im Sinne des § 1 Abs. 2 SchwarzArbG kommt es dabei nicht an.
18 Sa 883/23 (11.01.2024)
1. Heilerziehungspfleger sind auch in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nach Maßgabe der Bestimmungen in der Anlage 33 zu den AVR-Caritas einzugruppieren, wenn sie schwerpunktmäßig erzieherische oder soziale Aufgaben wahrnehmen.
2. Will der Arbeitgeber eine bestimmte Arbeitnehmergruppe durch eine aus seiner Sicht unzutreffende Eingruppierung im Sinne einer „übertariflichen“ Vergütung besserstellen, findet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung, so dass auch eine andere Arbeitnehmergruppe, die vergleichbare Tätigkeiten verrichtet, Anspruch auf die höhere Vergütung hat, wenn kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung beider Gruppen vorliegt. Ein sachlicher Grund kann darin bestehen, dass die Eingruppierung der begünstigten Arbeitnehmergruppe nur aus Sicht des Arbeitgebers „falsch“ ist, tatsächlich aber den maßgeblichen Eingruppierungsregeln entspricht.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für die Vergleichbarkeit der Tätigkeit zweier Arbeitnehmergruppen trifft grundsätzlich den anspruchstellenden Arbeitnehmer. Die Darlegungslast ist jedoch abgestuft.
4. Die Darlegungslast für das Vorliegen sachlicher Differenzierungsgründe trifft den Arbeitgeber.
11 Sa 936/23 (11.01.2024)
Ein Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort in NRW hat für vergütungspflichtige Tätigkeiten, die er an Allerheiligen auf Weisung des Arbeitgebers in Hessen erbringt, keinen Anspruch auf Feiertagszuschläge nach § 8 Abs. 1 S. 2 lit. d) i.d.F.d. § 43 Nr. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 2 lit. d) TV-L.
4 Sa 803/23 (10.01.2024)
1. Nach Ablauf der Übergangsfrist des § 26a BetrAVG ist der Arbeitgeber nach § 1a Abs. 1a BetrAVG seit dem 01. Januar 2022 auch dann gegenüber einem Arbeitnehmer, der von seinem Recht, Arbeitsentgelt in eine Anwartschaft für eine betriebliche Altersversorgung umzuwandeln, Gebrauch gemacht hat, zu dessen Gunsten zur Zahlung eines Zuschusses an den Träger der betrieblichen Altersversorgung verpflichtet, wenn er an einen vor dem 01. Januar 2019 zustande gekommenen Tarifvertrag gebunden ist, der Regelung über eine Entgeltumwandlung enthält (hier: Tarifvertrag über die Förderung einer tariflichen Altersvorsorge und Entgeltumwandlung in der deutschen Süßwarenindustrie vom 18.04.2011), ohne einen Arbeitgeberzuschuss wegen der Einsparung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber vorzusehen (gegen LAG Niedersachsen, Urteil vom 16.10.2023 – 15 Sa 223/23 B).
2. Ein Abweichen durch Tarifvertrag nach § 19 Abs. 1 BetrAVG von § 1a Abs. 1a BetrAVG setzt voraus, dass die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der Gesetzesnorm sich bewusst dafür entschieden haben, eine andere Regelung treffen zu wollen.
3. Der Arbeitgeber erfüllt seine Verpflichtung aus § 1a Abs. 1a BetrAVG nicht dadurch, dass er aufgrund einer von ihm zu beachtenden tariflichen Verpflichtung eine anderweitige betriebliche Altersversorgung zugunsten des Arbeitnehmers, der von seinem Recht, Arbeitsentgelt in eine Anwartschaft für eine betriebliche Altersversorgung umzuwandeln, Gebrauch gemacht hat, finanziert.
13 Ta 350/23 (03.01.2024)
Ein solcher konkludenter Antrag kann regelmäßig den Erklärungen der Partei im Rahmen des Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO im Wege der Auslegung entnommen werden.
1 SHa 21/23 (02.01.2024)
Auch in der Passivphase der Altersteilzeit bleibt es beim Grundsatz des einheitlichen Erfüllungsortes von Arbeitsleistung und Vergütung. Die in der Passivphase fehlende Verpflichtung, die Arbeitsleistung erbringen zu müssen, stellt keinen Umstand i.S.d. § 269 Abs. 1 BGB dar, der dazu führt, als Leistungsort den Sitz der Arbeitgeberin anzunehmen.
9 Sa 693/23 (29.11.2023)
Wenn eine Arbeitgeberin gemeinsam mit dem Personalrat über eine Dienstvereinbarung ein rechtliches Konstrukt schafft und mit einem Arbeitnehmer auf dieser – ggf. unwirksamen – Grundlage Altersteilzeitverträge abschließt, wonach über einen Gesamtzeitraum von sechs Jahren Altersteilzeit im Blockmodell in Anspruch genommen werden kann, liegt die Sicherstellung des Vorliegens entsprechender steuer- und beitragsrechtlicher Voraussetzungen gem. §§ 3 Nr. 28 EStG; 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SVeV außerhalb der Einfluss- und Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers.
14 Sa 1092/22 (03.11.2023)
1. § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist im Fall eines gesetzlichen Forderungsübergangs entsprechend anzuwenden.
2. In die Wertung, ob bei einer Reise in ein Covid-19-Risikogebiet und dortiger Virusinfektion ein Verschulden hinsichtlich einer aus der Infektion resultierenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorliegt, ist angesichts des Bezugspunkts des Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ein durch die Reise verändertes Infektionsrisiko einzubeziehen. Von einem verständigen Menschen ist im eigenen Interesse der Gesunderhaltung und Vermeidung von zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen zu erwarten, dass er in Zeiten einer pandemischen Lage das bestehende Infektionsrisiko nicht durch Reisen wesentlich erhöht, ohne dass hierfür ein triftiger Grund vorliegt. Bei der Beurteilung, ob dagegen in grober Weise verstoßen wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
13 Sa 453/23 (03.11.2023)
1. Regelmäßig trägt der Arbeitgeber für die Umstände, die nach § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung bedingen, die Darlegungs- und Beweislast (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit.
2. Ist der Arbeitgeber nicht zur Durchführung eines bEM gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, kann er sich darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf konkret erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Erst dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum auch eine solche Beschäftigung nicht möglich sei. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber entsprechend den Vorgaben des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt hat.
3. Eine erweiterte Darlegungslast trifft den Arbeitgeber, der es unterlassen hat, entgegen den Vorgaben des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX ein bEM durchzuführen. Er hat darzulegen, warum auch mit seiner Hilfe keine Möglichkeiten erkannt worden wäre, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden.
4. Eine Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen kommt als milderes Mittel nur in Betracht, wenn nach Durchführung der Umschulung ein entsprechender freier Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer mit seinen erworbenen Qualifikationen eingesetzt werden kann, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Verfügung steht.
17 Ta 252/23 (04.10.2023)
Die Mandatierung eines Rechtsanwalts als zusätzlichen Prozessbevollmächtigten neben einem Gewerkschaftsvertreter ist im Berufungsverfahren grundsätzlich nicht mehr als zweckentsprechend iSv. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzusehen, wenn sie nach Eingang der Berufungsbegründung und der Berufungserwiderung und nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung erfolgt.
4 Sa 124/22 (27.09.2023)
1. Lässt nach den Bestimmungen einer Konzernbetriebsvereinbarung ein Arbeitgeberwechsel innerhalb des Konzerns den Bestand einer Versorgungszusage unberührt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass Versorgungsschuldner der letzte Vertragsarbeitgeber sein soll.
2. Bei einem verschlechternden Eingriff in eine auf einer Konzernbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusage ist ungeachtet der Person des Versorgungsschuldners regelmäßig die wirtschaftliche Lage des Konzerns maßgeblich.
3. Ein außergewöhnlich hoher Rückstellungsbedarf für künftige Versorgungsansprüche kann als „sachlich-proportionaler Grund“ im Sinne des dreistufigen Prüfungsschemas des Bundesarbeitsgerichts einen verschlechternden Eingriff in eine auf einer Konzernbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusage rechtfertigen.
4 Sa 163/22 (27.09.2023)
1. Nehmen die Parteien eines Arbeitsvertrags auf eine mittlerweile abgelöste Versorgungsordnung Bezug, ohne dass es tatsächliche Umstände gibt, die für die Annahme sprechen, dass es dem Willen der Vertragsparteien entspricht, eine betriebliche Altersversorgung nach jener Versorgungsordnung zu vereinbaren, kann nach dem Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ angenommen werden, dass eine Versorgung nach der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Unternehmen gültigen Versorgungsordnung gewollt war.
2. Lässt nach den Bestimmungen einer Konzernbetriebsvereinbarung ein Arbeitgeberwechsel innerhalb des Konzerns den Bestand einer Versorgungszusage unberührt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass Versorgungsschuldner der letzte Vertragsarbeitgeber sein soll.
3. Bei einem verschlechternden Eingriff in eine auf einer Konzernbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusage ist ungeachtet der Person des Versorgungsschuldners regelmäßig die wirtschaftliche Lage des Konzerns maßgeblich.
4. Ein außergewöhnlich hoher Rückstellungsbedarf für künftige Versorgungsansprüche kann als „sachlich-proportionaler Grund“ im Sinne des dreistufigen Prüfungsschemas des Bundesarbeitsgerichts einen verschlechternden Eingriff in eine auf einer Konzernbetriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusage rechtfertigen.
12 Ta 216/23 (21.09.2023)
1.Wird der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil entgegen § 341 Abs. 2 ZPO durch Beschluss verworfen, sind nach Maßgabe des Meistbegünstigungsgrundsatzes sowohl die sofortige Beschwerde als auch die Berufung statthaft.
2. Wird sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt, ist das Verfahren vom Landesarbeitsgericht in dieser Verfahrensart fortzuführen, weil im Beschwerdeverfahren und im Berufungsverfahren unterschiedliche Spruchkörper zuständig sind.
3. Liegen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vor, weil das Arbeitsgerichtzu Unrecht davon ausgeht, dass der Aufenthaltsort unbekannt ist, beginnt der Lauf der Einspruchsfrist nicht. Das gleiche gilt, wenn die Einspruchsfrist entgegen § 329 Abs. 3 ZPO nicht ausdrücklich bestimmt wird.
15 Sa 1033/22 (24.08.2023)
1. Ein an COVID-19 erkrankter Arbeitnehmer ist infolge Krankheit objektiv an seiner Arbeitsleistung verhindert, wenn er sich in Quarantäne begeben muss, es sei denn, der Arbeitgeber kann von ihm verlangen, im Homeoffice zu arbeiten. Die erforderliche Monokausalität iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist gegeben, wenn die behördlich angeordnete Quarantäne Folge einer Arbeitsunfähigkeit ist.
2. Für den Verschuldensmaßstab des § 3 EFZG ist nicht auf § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG abzustellen.
3. Ein Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist nicht anzunehmen, wenn die Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Schutzimpfung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können (Verschulden vorliegend vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehens Ende Dezember 2021 verneint).
4. Ein vorläufiges Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Fortdauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anders als durch Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung nachweist.
9 Sa 538/22 (23.08.2023)
Bewirbt sich ein Mann auf eine bei eBay-Kleinanzeigen lediglich für Frauen ausgeschriebene Stelle unter besonderer Hervorhebung, dass es sich bei dem Bewerber um einen Mann handelt, sowie dergestalt, dass eine Absage provoziert wird, kann es sich im konkreten Einzelfall um rechtsmissbräuchliches Vorgehen handeln.
8 Sa 99/23 (03.08.2023)
Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorsorglich zur Kündigung eines vermeintlich leitenden Angestellten an und stellt er dabei statusrelevante Umstände objektiv und entgegen eigener Kenntnis fehlerhaft und/oder unvollständig dar, kann dies jedenfalls dann zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG führen, wenn der Betriebsrat gerade deshalb von einer Stellungnahme zur beabsichtigen Kündigung absieht.
8 Sa 1433/21 (26.07.2023)
Ist über die Kosten des Berufungsverfahrens durch Beschluss gem. § 91a ZPO zu entscheiden und verzichten die Parteien insoweit analog § 313a Abs. 2 ZPO auf eine Begründung und Rechtsmittel, dann führt dies unter analoger Anwendung der Nummer 8222 Ziffer 2 KV GKG (GKVerz) zu einer Ermäßigung der Gerichtsgebühr auf 1,6 (im Anschluss an LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. März 2016 – 5 Sa 3/15).
14 Ta 368/22 (05.05.2023)
1. Für die Entscheidung über die Zahlung einer Entschädigung nach § 56 IfSG gegen den Arbeitgeber sind die Verwaltungsgerichte gemäß § 68 Abs. 1 IfSG zuständig.
2. Behält der Arbeitgeber von der Vergütung des Arbeitnehmers für den laufenden Monat einen Teil ein mit der Begründung, im Vormonat habe diesem kein Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG zugestanden, sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig, soweit nicht mit Rechtskraftwirkung über diesen Entschädigungsanspruch als Vorfrage für einen Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers zu entscheiden ist.
7 TaBV 177/22 (04.04.2023)
Im Zustimmungsersetzungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG können Kündigungsgründe, die während des laufenden Verfahrens entstanden sind, nur nachgeschoben werden, wenn der verfahrenseinleitende Antrag formwirksam bei Gericht eingereicht worden ist (Anschluss an BAG, Urteil vom 24.10.1996, 2 AZR 3/96).
18 Sa 1048/22 (30.03.2023)
1. Auch die Vorlage irreführender ärztlicher Bescheinigungen kann eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht darstellen, die den Arbeitnehmer trifft. Dies gilt insbesondere für Nachweise im Sinne des § 20a Abs. 2 S. 1 IfSG (a.F.).
2. Die Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen formularmäßigen ärztlichen „vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung“, die ohne ärztliche Untersuchung erstellt wurde und den falschen Eindruck erweckt, auf den individuellen Verhältnissen des Arbeitnehmers zu beruhen, kann eine Kündigung rechtfertigen (im Streitfall verneint, da Abmahnung erforderlich).
8 Ta 298/22 (27.03.2023)
1. Berührt die in einen Prozessvergleich aufgenommene Ausgleichsklausel über die Verfahrensgegenstände hinausgehende Ansprüche auf den Ersatz eines gegenwärtigen oder künftigen Schadens, ist für die Festsetzung eines daraus resultierenden Vergleichsmehrwertes das zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses begründete wirtschaftliche Interesse der Parteien und damit der wirtschaftliche Wert der Vereinbarung maßgeblich.
2. Die Wertbestimmung erfolgt insoweit nach einem objektivierten Maßstab unter Berücksichtigung der die wirtschaftliche Bedeutung der Klausel bestimmenden Umstände des Einzelfalls, was die Annahme eines Vergleichsmehrwerts auch gänzlich ausschließen oder lediglich den Ansatz eines sogenannten Erinnerungswertes rechtfertigen kann.
1 Sa 1217/22 (24.03.2023)
Regeln die Parteien in einem gerichtlich protokollierten Vergleich, der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer Kündigung zum Gegenstand hat, dass der klagende Arbeitnehmer unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung sowie unter Anrechnung auf etwaig noch offene Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt wird, werden in einem weiten Verständnis des Begriffs „Freizeitausgleichsansprüche“ auch etwaige Ansprüche auf Überstundenvergütung erfasst.
18 Sa 888/22 (23.03.2023)
1. An die Annahme des durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwands gegen den Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG sind hohe Anforderungen zu stellen. Zu berücksichtigen sind die Gesamtumstände des Einzelfalls.
2. Der Arbeitgeber muss Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen. Nach allgemeinen Grundsätzen ist die Darlegungslast insoweit abgestuft. Hat die beklagte Partei hinreichende Tatsachen vorgetragen, die einen rechtshindernden Einwand – wie rechtsmissbräuchliches Verhalten – indizieren, so muss sich die klagende Partei hierzu substantiiert, d. h. mit näheren positiven Angaben, äußern.
3. Folgende Umstände können in ihrer Gesamtheit hinreichende Indizien für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen sein: wenig aussagekräftige Bewerbung ohne Unterlagen, gezielte Nachfrage („Suchen Sie ausschließlich eine Frau“) wegen des Inhalts der Stellenausschreibung („Sekretärin“), weite Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle, Mitteilung „Ich wäre ab sofort verfügbar“ (wie in der Stellenausschreiben erwartet) trotz bestehender langandauernder Arbeitsunfähigkeit, eine Vielzahl von Entschädigungsklagen (im Streitfall etwa 20 Verfahren) vor dem gleichen Hintergrund (Bewerbung auf Stellenanzeigen für eine „Sekretärin“ im Portal ebay-Kleinanzeigen).
18 Sa 1044/22 (16.03.2023)
Familienpfleger, die in der Altenhilfe tätig sind, erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe P 6 des Anhangs D zur Anlage 32 zu den AVR Caritas („Pflegehelfer mit mindestens einjähriger Ausbildung und entsprechender Tätigkeit“).
8 Ta 6/23 (14.03.2023)
Streiten die Parteien eines Arbeitsverhältnisses nach vorausgehender Titulierung des Anspruchs auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis nur noch über die Modalitäten der Leistung, etwa über den Leistungsort, dann ist der Gebührenstreitwert im Regelfall nicht nach dem Monatseinkommen, sondern nach dem insoweit begründeten wirtschaftlichen Interesse der klagenden Partei zu bemessen.
14 Ta 35/23 (13.03.2023)
Zwar ist nach der auf den ursprünglich gestellten Antrag hin erfolgten Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Falle des nachfolgenden Abschlusses eines Mehrvergleichs ein neuer Antrag erforderlich. Dieser kann aber von der Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, auch konkludent gestellt werden. Ein solcher konkludenter Antrag kann regelmäßig den Erklärungen der Partei im Rahmen des Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO im Wege der Auslegung entnommen werden.
Ein konkludenter Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Mehrvergleich liegt noch nicht vor, wenn die Partei vor der Bewilligungsentscheidung mitteilt, dass ein Vergleich beabsichtigt ist, ohne auf einen Mehrvergleich hinzuweisen.
8 Ta 275/22 (13.03.2023)
Wendet sich ein Arbeitnehmer, der als Lehrer an einer privaten Ersatzschule in einem beamtenähnlich ausgestalteten Planstelleninhaberverhältnis zu deren Träger steht, gegen seine auf Dienstunfähigkeit gestützte vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, so bemisst sich der Gebührenstreitwert mangels der von § 42 Abs. 2 S. 1 GKG vorausgesetzten besonderen Schutzbedürftigkeit nicht nach dem Vierteljahresverdienst, sondern in Anlehnung an die für beamtenrechtliche Streitigkeiten geltenden Maßstäben des § 52 Abs. 6 GKG.
12 Ta 233/22 (08.02.2023)
Ein Titel, der zur Erteilung einer „ordnungsgemäßen“ Abrechnung nach § 108 GewO verpflichtet, ist bestimmt genug und daher zur Zwangsvollstreckung geeignet (Abgrenzung zu LAG Hamm, 24.06.2019 – 12 Ta 184/19).
14 Ta 377/22 (30.01.2023)
Rundfunk- und Fernsehgebühren sind als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens der Partei, welche Prozesskostenhilfe beantragt hat, zu berücksichtigen.
14 Ta 210/22 (30.01.2023)
Rundfunk- und Fernsehgebühren sind als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens der Partei, welche Prozesskostenhilfe beantragt hat, zu berücksichtigen.
8 Ta 232/22 (27.01.2023)
1. Wird ein arbeitsgerichtliches Urteilsverfahren durch einen Prozessvergleich erledigt, erfolgt die Festsetzung des Verfahrens- und Vergleichswerts regelmäßig auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 RVG iVm. § 63 Abs. 2 GKG (im Anschluss an LAG Hamm, Beschluss vom 28. April 2006 – 6 Ta 95/06).
2. Streiten die Parteien zugleich über ein Zwischen- und ein Endzeugnis bzw. wird in einem Prozessvergleich zu beiden Zeugnisvarianten eine inhaltlich korrespondierende Regelung getroffen oder letztlich nur die Erteilung eines Endzeugnisses vereinbart, dann ist der Wert insoweit nach dem kostenrechtlichen Streitgegenstandsbegriff regelmäßig auf insgesamt ein Monatseinkommen festzusetzen. Denn der gesamte Zeugniskomplex bzw. beide Zeugnisvarianten betreffen bei wirtschaftlicher Betrachtung dann ein einheitliches Interesse.
8 Ta 128/88 (24.01.2023)
1. Der im Sinne eines sogenannten Schleppnetzantrags neben dem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG angekündigte allgemeine Feststellungsantrag gem. § 256 Abs. 1 ZPO geht nach §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 2 S. 1 GKG wertmäßig im Ansatz des Vierteljahresverdienstes auf, wenn mit diesem kein weiterer Beendigungstatbestand angesprochen wird.
2. Soweit neben dem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Bestandsschutzbegehren ein Abfindungsanspruch auf tarifvertraglicher Grundlage verfolgt wird, kommt ein Wertansatz wegen des Hilfsantrags gem. § 45 Abs. 1 S. 2 GKG regelmäßig nur dann in Betracht, wenn über diesen Antrag gerichtlich entschieden wird.
3. Gelangt ein solcher Hilfsantrag wegen des Obsiegens mit dem Hauptantrag hingegen nicht zur Entscheidung, ist der Hilfsantrag auch dann nicht gem. § 45 Abs. 1 S. 3 GKG bei der Bildung des Gesamtwerts zu berücksichtigen, wenn dessen Einzelwert den Wert des beschiedenen Hauptantrags übersteigt.
4. Soweit bei der Bemessung des für die Gerichtsgebühren nach §§ 63 Abs. 2, 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 S. 2 GKG festzusetzenden Gesamtwerts ein unbeschiedener Hilfsantrag außer Ansatz zu bleiben hat, ist dieser Wert wegen des in § 32 Abs. 1 RVG begründeten Abhängigkeitsgrundsatzes regelmäßig auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblich. Für die abweichende Festsetzung eines den Einzelwert des Hilfsantrags einschließenden höheren Wertes auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 RVG verbleibt dann kein Raum.
18 Sa 886/22 (12.01.2023)
1. § 20a IfSG a.F. ordnet ein Beschäftigungsverbot nur für die in § 21 Abs. 3 Satz 1 IfSG genannten Personen an. Dies sind Personen, die in den in § 21 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen ab dem 16.03.2022 tätig werden sollen.
2. Für „Bestandsmitarbeiter“, die schon vor dem 16.03.2022 in den Einrichtungen tätig waren, besteht nach § 20a IfSG kein gesetzliches Tätigkeitsverbot. Bei Nichterfüllung der Vorlagepflicht aus § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG hat die Einrichtungsleitung gemäß § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG das Gesundheitsamt zu informieren. Das Gesundheitsamt kann unter den Voraussetzungen des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gegenüber den Arbeitnehmern ein Betretungsverbot für die Einrichtung aussprechen.
3. Die Entscheidung des Arbeitgebers, nur noch geimpfte Mitarbeiter zu beschäftigen und ungeimpfte Arbeitnehmer freizustellen, sofern sie nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG keinen Genesenennachweis oder ein Zeugnis über Schwangerschaft bzw. Impfunverträglichkeit vorlegen, kann die Grenzen des billigen Ermessens gemäß § 106 GewO überschreiten. Dabei ist insbesondere von Belang, ob die berechtigten Interessen des Arbeitgebers durch mildere Maßnahmen wie Corona-Tests und das Tragen von Schutzmasken gewahrt werden können.
4. Den unrechtmäßigerweise freigestellten ungeimpften Arbeitnehmern kann ein Anspruch auf Entgeltzahlung aus § 615 Satz 1 BGB zustehen (im Streitfall bejaht).
8 Ta 254/22 (06.01.2023)
1. Ein neben dem Kündigungsschutzantrag nach § 4 S. 1 KSchG angekündigter Beschäftigungsantrag, mit welchem in Abgrenzung zum Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG der auf die Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts gestützte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch verfolgt wird, kann auch dann als unechter Hilfsantrag auszulegen sein, wenn sich aus dem Wortlaut des Antrags dessen Bedingtheit nicht unmittelbar ergibt.
2. Die Annahme eines mit dem Kosteninteresse der klagenden Partei regelmäßig nicht vereinbaren unbedingten Weiterbeschäftigungsantrags erfordert eindeutige Anhaltspunkte in der Klagebegründung.
3. Ist der Weiterbeschäftigungsantrag danach als unechter Hilfsantrag auszulegen, ist dafür bei vergleichsweiser Erledigung des Rechtsstreits nach § 45 Abs. 4 GKG nur dann ein Wert anzusetzen, wenn der Vergleich zur Frage der Beschäftigung über den Kündigungstermin hinaus eine Regelung enthält.
4. Da der Weiterbeschäftigungsantrag auf tatsächliche Beschäftigung gerichtet ist, muss sich diese Regelung zur Frage der Beschäftigung nach dem Kündigungstermin und für einen vom Zeitpunkt des Vergleichsschlusses her betrachtet in die Zukunft reichenden Zeitraum verhalten (im Anschluss an LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.12.2015 – 5 Ta 71/15).
14 Ta 194/22 (20.12.2022)
Zwar ist nach der auf den ursprünglich gestellten Antrag hin erfolgten Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Falle des nachfolgenden Abschlusses eines Mehrvergleichs ein neuer Antrag erforderlich. Dieser kann aber von der Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, auch konkludent gestellt werden. Ein solcher konkludenter Antrag kann regelmäßig den Erklärungen der Partei im Rahmen des Vergleichsschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO im Wege der Auslegung entnommen werden.
18 SaGa 16/22 (15.12.2022)
1. Dass der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft außerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses einem anderen Unternehmen zur Verfügung stellt, reicht für einen Verstoß gegen § 60 Abs. 1 HGB nicht aus. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers kommt es darauf an, ob seine Tätigkeit außerhalt des Arbeitsverhältnisses den Interessen seines Arbeitgebers aus Gründen des Wettbewerbs zuwiderläuft.
2. Zwischen dem Arbeitgeber und dem anderen Unternehmen, für das der Arbeitnehmer tätig wird, besteht das nach § 60 Abs. 1 HGB erforderliche Wettbewerbsverhältnis, wenn sich beide als Anbieter an einen im wesentlichen gleichen Abnehmerkreis im selben Marktbereich wenden. Hinsichtlich des Marktbereichs sind auch örtliche Aspekte zu berücksichtigen.
3. Ein Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 60 HGB lässt sich nicht aus dem örtlich entgrenzten Gesichtspunkt eines Nachfragewettbewerbs bezüglich hochqualifizierter Arbeitnehmer herleiten.
4. Bei der der Pflicht des Arbeitnehmers, gemäß § 241 Abs. 2 BGB anderweitige Erwerbstätigkeit zu unterlassen, die die geschuldete Arbeitsleistung vereiteln oder gefährden kann, handelt es sich um keine selbständig einklagbare Pflicht.
13 Sa 754/22 (09.12.2022)
1, Die Formulierung, dass ein Arbeitnehmer "bei einem 35-jährigen Dienstjubiläum" eine Jubiläumszuwendung erhält, setzt lediglich die Vollendung einer 35-jährigen Beschäftigungszeit voraus und nicht, dass das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus auch noch am Jubiläumstag fortbesteht.
2, Soll der Arbeitnehmer „bei Dienstjubiläum“ eine Jubiläumszuwendung erhalten, ist damit lediglich die Fälligkeit des bei Vollendung der Beschäftigungszeit entstandenen Anspruchs geregelt.
19 Sa 756/22 (02.12.2022)
1. Ein am reinen Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 Halbs. 2 DSGVO orientierter Antrag auf Auskunft ist mangels hinreichender Bestimmtheit iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig, wenn bereits eine Auskunft hinsichtlich konkreter personenbezogener Daten erteilt worden ist, aufgrund derer es der klagenden Partei möglich und zumutbar ist, anzugeben, welche weiteren personenbezogenen Daten und Informationen über die bereits erteilte Auskunft hinaus begehrt werden.
2. Ein Schadenersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 Alt. 2 DSGVO erfordert das Vorliegen eines konkreten immateriellen Schadens. Diesen hat die klagende Partei darzulegen.
4 Sa 1060/21 (01.12.2022)
(gilt auch in den Parallelverfahren 4 Sa 1199/21, 4 Sa 1460/21 und 4 Sa 322/22)
1. Legt der Arbeitgeber in einer Versorgungszusage auf Grundlage einer Gesamtzusage fest, welche Vergütungskomponenten für die Errechnung der Versorgungsleistungen ruhegeldfähig sein sollen und welche nicht, kann die Vertragsauslegung ergeben, dass später auf tarifvertraglicher Grundlage geschaffene Vergütungskomponenten (hier: Garantierte Individuelle Zulage (GIZ) und Tariflicher Auf-stockungsbetrag (TAB)) zum ruhegeldfähigen Arbeitseinkommen zählen, auch wenn die Parteien des Tarifvertrags dies ausgeschlossen haben.
2. Hat der Arbeitgeber den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmern eine Versorgungszusage auf Grundlage einer Gesamtzusage erteilt, muss er bei Verhandlungen über den Abschluss von Haustarifverträgen nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB das Interesse der begünstigten Arbeitnehmer an einem Kaufkrafterhalt ihres betriebsrentenfähigen Entgelts berücksichtigen. Bei einer deutlichen Fehlentwicklung im Verhältnis zwischen ruhegeldfähigem Entgelt und nichtruhegeldfähigen Gehaltskomponenten kann dies in entsprechender Anwendung des § 162 BGB dazu führen, dass die benachteiligten Versorgungsberechtigten verlangen können, dass neu geschaffene Vergütungskomponenten bei der Berechnung der Versorgungsleistung zu berücksichtigen sind (hier bejaht).
6 Sa 202/22 (29.11.2022)
Fehlt in einem Abrufarbeitsverhältnis eine Vereinbarung über die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart (im Anschluss an BAG, Urteil vom 24.09.2014 – 5 AZR 1024/12; Abgrenzung zu BAG, Urteil vom 07.12.2005 – 5 AZR 535/04). Jedenfalls bei einem nicht gleichförmigen Abruf begründet allein das tatsächliche Abrufverhalten des Arbeitgebers weder eine konkludente vertragliche Vereinbarung noch ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich.
8 Ta 198/22 (26.10.2022)
1. In einem Prozessvergleich zur Beilegung des Rechtsstreits selbst vereinbarte Leistungen begründen, ebenso wie deklaratorisch zu zwischen den Parteien unstreitigen Punkten ergänzend aufgenommene Angaben, regelmäßig keinen Vergleichsmehrwert.
2, Betreffen die jeweiligen Regelungen jedoch im Verfahren nicht streitgegenständliche weitergehende Rechtsverhältnisse, die zwischen den Parteien gesondert gerichtlich oder außergerichtlich streitig oder erkennbar von Rechtsunsicherheit betroffen waren, kann dies zu einer Werterhöhung führen. Die geforderte Ungewissheit oder Rechtsunsicherheit kann dabei in dem Rechtsverhältnis bereits angelegt sein (hier: nachvertragliches Wettbewerbsverbot).
3, Der Wertansatz für Streitigkeiten über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann – dem wirtschaftlichen Interesse der klagenden Parteien folgend – nach Dauer und Höhe der daraus zu zahlenden Karenzentschädigung bemessen werden.
4. Bei der Streitwertbeschwerde nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 1 GKG ist das Beschwerdegericht nicht an die Anträge oder das Begehren der Beschwerdeführer gebunden. Eine Streichung von einzelnen Ansätzen und eine Minderung des Gesamtwerts zum Nachteil der Beschwerdeführer von Amts wegen sind möglich.
13 Sa 413/22 (21.10.2022)
1. Eine „Unterbrechung“ im Sinne des § 150a Abs. 5 SGB IX setzt voraus, dass eine Tätigkeit zunächst aufgenommen worden ist und nach der Abwesenheit – wenn auch nur für einen Tag – weitergeführt wird.
2. Eine Tätigkeit im Sinne des § 150a Abs. 5 SGB IX verlangt eine tatsächliche, faktische Arbeitsleistung bzw. Anwesenheit im Betrieb und nicht nur das bloße Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zur Pflegeeinrichtung mit einer regelmäßigen oder üblichen Arbeitszeit.
4 Sa 218/22 (12.10.2022)
(gilt auch in den Parallelverfahren 4 Sa 220/22, 4 Sa 221/22, 4 Sa 288/22 und 4 Sa 289/22)
Fehlt in einem Abrufarbeitsverhältnis eine Vereinbarung über die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart (im Anschluss an BAG, Urteil vom 24.09.2014 – 5 AZR 1024/12; Abgrenzung zu BAG, Urteil vom 07.12.2005 – 5 AZR 535/04). Jedenfalls bei einem nicht gleichförmigen Abruf begründet allein das tatsächliche Abrufverhalten des Arbeitgebers weder eine konkludente vertragliche Vereinbarung noch ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich.
10 Sa 229/22 (27.09.2022)
Syndikusrechtsanwälte und –anwältinnen, die für einen als Prozessvertreter der Partei bevollmächtigten Verband nach außen erkennbar im Rechtsverkehr als Syndikusrechtsanwälte/-anwältinnen auftreten, unterliegen bei Ausübung dieser Tätigkeit der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 46g ArbGG durch Einsatz des für sie in dieser Eigenschaft persönlich eingerichteten beA.
Syndikusrechtsanwälte und -anwältinnen sind die einen Schriftsatz verantwortende Person im Sinne des § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG. Dies wird nicht dadurch infrage gestellt, dass Prozessvertreter der Partei der Verband ist, bei dem Erstere angestellt sind (im Anschluss an LAG Hamm 03.05.2022, 14 Sa 1381/21).
7 TaBV 13/22 (06.09.2022)
Nach einem Betriebsübergang sind die (ehemals) tariflichen Eingruppierungsregeln die vom tariflich nicht gebundenen Arbeitgeber bis zu einer Neuregelung gegenüber dem Betriebsrat zu beachtenden Entlohnungsgrundsätze i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (Anschluss an BAG, Urteil vom 23.01.2018, 1 AZR 65/17 und Beschluss vom 08.12.2009, 1 ABR 66/08).
14 Ta 179/22 (05.09.2022)
Stellt die Partei einen Prozesskostenhilfeantrag, ohne eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen, darf eine Zurückweisung aus diesem Grund nur dann erfolgen, wenn das Gericht zuvor einen Hinweis auf diesen Mangel erteilt. Das gilt auch bei einer anwaltlich vertretenen Partei (entgegen BAG 31. Juli 2017 – 9 AZB 32/17 – juris).
18 Sa 1548/21 (14.07.2022)
1. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erkennt nur die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur als berechtigtes betriebliches Interesse an, nicht aber deren Herstellung, d. h. die Veränderung der bisherigen Personalstruktur.
2. Der Arbeitgeber kann zur Erhaltung einer bestimmten Personalstruktur des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und aus jeder Gruppe eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern festlegen, die nicht in die Auswahl einbezogen werden sollen. Auch eine Gruppenbildung nach Ausbildung und Qualifikation ist zulässig, da zur Personalstruktur auch die Leistungsstärke der Belegschaft gehört. Erhaltung der Leistungsstärke der Belegschaft bedeutet, dass das Verhältnis der leistungsstärkeren zu den leistungsschwächeren Arbeitnehmern in etwa gleich bleibt. Der Arbeitgeber kann daher z. B. für die Mitarbeiter, die für eine Sozialauswahl in Betracht kommen, eine Leistungsbeurteilung anfertigen lassen, dann Gruppen bilden und aus diesen Gruppen anteilig gleich viele Arbeitnehmer entlassen.
3. Der Arbeitgeber missachtet diese Grundsätze im Kern, wenn er zwar eine Gruppenbildung vornimmt, jedoch davon absieht, aus den gebildeten Qualifizierungsgruppen anteilig gleich viele Arbeitnehmer zu entlassen und die vielmehr die Sozialauswahl auf die Qualifizierungsgruppe beschränkt, in der sich die Arbeitnehmer befinden, die bei der Bewertung ihrer Qualifikation nach Maßgabe der „Qualifizierungs-Matrix“ die geringste Punktzahl erreichen und mithin die geringste Qualifikation aufweisen. Dadurch, dass ausschließlich Arbeitnehmer jener Qualifizierungsgruppe entlassen werden, wird im Ergebnis nicht die Personalstruktur erhalten, sondern verbessert. Denn der Arbeitgeber entledigt sich ausschließlich derjenigen Arbeitnehmer, die, den Bewertungsmaßstab der „Qualifizierungs-Matrix“ zugrunde gelegt, am wenigsten qualifiziert sind. Das hat notwendigerweise eine Erhöhung der durchschnittlichen Qualifikation zur Folge. An einer solchen Maßnahme bestehe jedoch kein anzuerkennendes betriebliches Interesse. Der Grundgedanke der Sozialauswahl wird geradezu in sein Gegenteil verkehrt, weil für das Ergebnis der Auswahl letztlich nicht mehr soziale Kriterien, sondern ausschließlich die Qualifikation der Arbeitnehmer von Belang ist.
4. Das Vorgehen des Arbeitgebers kann dazu führen, dass die Sozialauswahl als grob fehlerhaft anzusehen ist (im Streitfall bejaht).
8 Sa 365/22 (14.07.2022)
1. Grob ehrverletzende, diffamierende und von erheblicher Missachtung der Person geprägte Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz können die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden.
2. Fehlt es danach an einer begründeten Vertraulichkeitserwartung, steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG der Berücksichtigung dieser Äußerungen als Kündigungsgrund und deren Verwertung im Kündigungsschutzprozess nicht entgegen.
3. In einem Kontext mit dem Arbeitsverhältnis über Vorgesetzte oder Kollegen geäußerte Schmähkritik und Formalbeleidigungen am Arbeitsplatz sind vom Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht umfasst.
18 Sa 21/22 (21.07.2022)
1. Es bleibt offen, ob ein Erzbistum als öffentlicher Arbeitgeber i.S.d. § 154 Abs. 2 SGB IX anzusehen ist.
2. Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt die Pflicht aus § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich auch dadurch, dass er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, das in Form eines Video-Interviews durchgeführt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn alle Vorstellungsgespräche in dieser Form durchgeführt werden, es im Laufe des Video-Interviews nicht zu technischen Problemen kommt, der schwerbehinderte Bewerber mit der Durchführung des Vorstellungsgesprächs in Form des Video-Interviews einverstanden ist und keine besonderen behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen, die die Durchführung des Interviews erschweren könnten.
18 Sa 161/22 (07.07.2022)
1. Die „bisherige Entgeltstufe“ im Sinne des § 16 Abs. 2 AVR-DD ist die Erfahrungsstufe, nach der der Mitarbeiter vor der Herabgruppierung vergütet wurde. Im Hinblick auf die Einstufung ist nur die Verweildauer in der höheren Entgeltgruppe im Rahmen der Tätigkeit zu berücksichtigen, die vor der Herabgruppierung ausgeübt wurde (und nicht – auch – der Zeitraum, in dem der Mitarbeiter zuvor mit anderen Tätigkeiten betraut war).
2. Dies gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter zunächst unter der Geltung des § 16 AVR-DD a.F. höhergruppiert und sodann unter der Geltung des § 16 AVR-DD herabgruppiert wurde und dies dazu führt, dass die Stufenzuordnung nach der Herabgruppierung sich gegenüber der Stufenzuordnung vor der Höhergruppierung verschlechtert.
8 Sa 40/22 (30.06.2022)
1. Handelt beim Abschluss eines Arbeitsvertrages ein Stellvertreter für den Arbeitgeber und lässt dieser seinen Vertreterwillen nicht für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich hervortreten, dann wird der Vertreter auch dann selbst aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet, wenn er selbst kein Unternehmen (mehr) führt und keine Beschäftigungsmöglichkeit hat.
2. Beruft sich der persönlich in Anspruch genommene Stellvertreter auf den Abschluss eines unternehmensbezogenen Geschäfts, so hat er gem. § 138 Abs. 2 ZPO zur Personen des Vertretenen konkrete Angaben zu machen. Fehlt es daran, kann der Abschluss eines Eigengeschäfts gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten.
6 Sa 1249/21 (17.05.2022)
Auch wenn die Erwerbsabsicht keine notwendige Bedingung für die Arbeitnehmereigenschaft ist, spricht ihr Fehlen doch im Rahmen einer Gesamtwürdigung gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Wesen des Arbeitsverhältnisses ist der Austausch von Arbeit und Lohn. Für die Beurteilung der Erwerbsabsicht ist abzustellen auf die Umstände, von denen die Vertragsparteien ausgehen konnten, und nicht auf nicht mitgeteilte Absichten einer der Vertragsparteien.
Beruft sich ein Verein zur Abwehr einer Inanspruchnahme als Arbeitgeber darauf, das Mitglied sei für ihn als Vereinsmitglied tätig, er sei eine Religionsgemeinschaft oder weltanschauliche Vereinigung und das Vertragsverhältnis zwischen ihm und seinem Mitglied sei durch diese Religion oder Weltanschauung geprägt, so hat er dies geltend zu machen und hierfür Anhaltspunkte vorzutragen. Ist dies erfolgt, verbleibt es bei der grundsätzlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.
6 Sa 1248/21 (17.05.2022)
Auch wenn die Erwerbsabsicht keine notwendige Bedingung für die Arbeitnehmereigenschaft ist, spricht ihr Fehlen doch im Rahmen einer Gesamtwürdigung gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Wesen des Arbeitsverhältnisses ist der Austausch von Arbeit und Lohn. Für die Beurteilung der Erwerbsabsicht ist abzu-stellen auf die Umstände, von denen die Vertragsparteien ausgehen konnten, und nicht auf nicht mitgeteilte Absichten einer der Vertragsparteien.
Beruft sich ein Verein zur Abwehr einer Inanspruchnahme als Arbeitgeber darauf, das Mitglied sei für ihn als Vereinsmitglied tätig, er sei eine Religionsgemeinschaft oder weltanschauliche Vereinigung und das Vertragsverhältnis zwischen ihm und seinem Mitglied sei durch diese Religion oder Weltanschauung geprägt, so hat er dies geltend zu machen und hierfür Anhaltspunkte vorzutragen. Ist dies erfolgt, verbleibt es bei der grundsätzlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.
14 Ta 130/22 (09.05.2022)
1. Eine gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO zu berücksichtigende besondere Belastung liegt auch in Unterhaltslasten, welche die Partei für die Kinder ihrer Lebensgefährtin bzw. ihres Lebensgefährten erbringt, mit denen sie in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II lebt.
2. Beruht die vor der Entscheidung im von der Partei persönlich geführten Beschwerdeverfahren erfolgte Mandatsniederlegung durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt auf einer erstinstanzlichen Ablehnung der Prozesskostenhilfe, die wegen einer sachlich nicht nachvollziehbaren Einkommensermittlung ergangen ist, kann ausnahmsweise eine Beiordnung weiterhin erfolgen.
14 Sa 1381/21 (03.05.2022)
1. Syndikusrechtsanwältinnen und –anwälte sind die einen Schriftsatz verantwortende Person im Sinne des § 46c Absatz 3 Satz 1 Variante 2 ArbGG. Dies wird nicht dadurch infrage gestellt, dass Prozessvertreter der Partei der Verband ist, bei dem Erstere angestellt sind.
2. Für die formgerechte Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes als elektronisches Dokument reicht die Übersendung aus dem beA der einfach signierenden Syndizi.
14 Sa 1350/21 (03.05.2022)
Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ein Zwischenzeugnis, in welchem er diesem bescheinigt, „Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist immer einwandfrei“; verhält er sich widersprüchlich, wenn er ihm am Folgetag wegen eines angeblichen groben Fehlverhaltens am Tag der Zeugniserteilung vor dessen Erstellung fristlos, hilfsweise ordentlich kündigt.
18 Sa 1269/21 (28.04.2022)
1. Durch die Gewährung freiwilliger Beihilfeleistungen an Betriebsrentner kann eine betriebliche Übung zugunsten der aktiven Arbeitnehmer entstehen, die darauf vertrauen dürfen, dass diese Handhabung auch zu ihren Gunsten nach Eintritt des Versorgungsfalles fortgeführt wird.
2. Ohne eine besondere Erklärung des Arbeitgebers ist die betriebliche Übung nicht mit dem Inhalt entstanden, dass die Beihilfeleistungen für die Betriebsrentner an die Gewährung von Beihilfeleistungen für aktive Arbeitnehmer gebunden sind.
3. Die entstandene betriebliche Übung kann nicht durch eine „negative Gesamtzusage“ abgelöst werden, die auf Einstellung der Beihilfeleistungen gerichtet ist.
14 Sa 1571/21 (22.03.2022)
Wird in der Klageschrift der Antrag auf Weiterbeschäftigung nicht nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage, sondern zusätzlich unter den Vorbehalt gestellt, dass der Arbeitgeber nicht bis zum Gütetermin zu Protokoll des Gerichts erklärt, den Arbeitnehmer im Falle eines der Klage stattgebenden Urteils weiter zu beschäftigen, hat der Kläger lediglich eine entsprechende Klageer-weiterung angekündigt, aber nicht rechtshängig gemacht.
In einem solchen Fall kann bei einem Anerkenntnis des Arbeitgebers über einen solchen Antrag kein Anerkenntnisurteil ergehen.
18 Sa 1449/21 (10.03.2022)
Enthält weder der Arbeitsvertrag noch die angegriffene Kündigung einen Hinweis auf die Klagefrist nach § 4 KSchG, so lässt sich die Unwirksamkeit der Kündigung nicht auf eine „Vorwirkung“ der Arbeitsbedingungen-Richtlinie (2019/1152/EU) oder auf eine richtlinienkonforme Auslegung bzw. Rechtsfortbildung der §§ 623, 125 S. 1 BGB stützen.
1 Sa 1282/21 (25.02.2022)
Einzelfallentscheidung zur Rückforderung von Fort- und Ausbildungskosten, Nutzungsausfallentschädigung, Urlaubsabgeltung und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitsgebers bei der Urlaubsübertragung.
5 Sa 872/21 (17.02.2022)
Bleibt ein Arbeitnehmer auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt, ist es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen. Ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal (im Anschluss an BAG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2020, 9 AZR 401/19 (A), NZA 2020, 1541-1547, Rn. 19 – 27)
1 Sa 648/21 (11.02.2022)
Differenziert eine Rückzahlungsklausel in einem Fortbildungsvertrag danach, dass der fortgebildete Arbeitnehmer im Falle der Eigenkündigung während der Bindungsfrist zur Rückzahlung nicht verpflichtet ist, wenn der Arbeitgeber dazu einen wichtigen Grund gegeben hat, ist damit regelmäßig ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB gemeint.
Entfällt die Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers bei pflichtwidrigem Verhalten des Arbeitgebers alleine dann, wenn die Pflichtwidrigkeit derart schwerwiegend ist, dass sie einen wichtigen Grund darstellt, ist dies eine unzulässige Verengung der Fälle, in denen sich der fortgebildeten Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens des Arbeitgebers als zur rückzahlungsfreien Eigenkündigung berechtigt ansehen darf. Eine solche Rückzahlungsklausel ist unangemessen benachteiligend und damit unwirksam i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
14 Sa 938/21 (11.02.2022)
Versäumt der Arbeitnehmer die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG für die Erhebung der Kündigungsschutzklage, weil ihm der Betriebsratsvorsitzende sagt, der Kläger müsse sich um nichts weiter kümmern und brauche auch keine Klage einreichen, ist eine nachträgliche Zulassung der Klage nicht möglich.
13 TaBV 30/21 (04.02.2022)
Bei einer Eingruppierung nach den Bestimmungen des TVöD (VKA) ist der Betriebsrat im Rahmen der vom Arbeitgeber nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorzunehmenden Unterrichtung im ausreichenden Umfang auch über die Kriterien zur Bildung von Arbeitsvorgängen zu informieren.
7 TaBV 47/21 (25.01.2022)
1. In einem Beschlussverfahren gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat, das hilfsweise auch die Wahlanfechtung umfasst, ist der Gesamtbetriebsrat, der nicht selbst Antragsteller ist, gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG nicht zu beteiligen.
2. Die unterbliebene Durchführung des Statusverfahrens gemäß § 27 EGAktG in Verbiindung mit §§ 97, 98 AktG führt zur Nichtigkeit der Wahl (Anschluss an BAG vom 16.04.2008, 7 ABR 6/07), wobei es nicht darauf ankommt, dass ein Streit oder eine Ungewissheit im Sinne des § 98 Abs. 1 AktG erst nach Einleitung der Wahl entstanden ist.
8 Ta 186/21 (21.01.2022)
1. Nimmt der gekündigte Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess parteierweiternd auch den vermeintlichen Betriebserwerber im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB mit einem Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO auf den Fortbestand des streitigen Arbeitsverhältnisses in Anspruch, so bemisst sich der Gebührenstreitwert ohne Erhöhung allein wegen der subjektiven Klagehäufung regelmäßig insgesamt nach dem Vierteljahresverdienst.
2. Wird daneben beantragt, den Betriebserwerber zur Anmeldung des gekündigten Arbeitnehmers zur Sozialversicherung zu verurteilen, hält sich die gebührenrechtliche Bewertung dieses Antrags mit 250,00 € im Rahmen des nach § 3 ZPO eröffneten Ermessens. Ein Wertansatz unter Orientierung an den dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Sozialversicherungsbeiträge (§ 9 ZPO) scheidet gemäß §§ 42 Abs. 2 S. 1, 45 Abs. 1 S. 3 GKG aus.
17 Sa 1185/20 (14.12.2021)
1. Art. 5 Abs. 1 Buchstabe a Var. 1 DSGVO („Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“) und Art. 6 Abs. 1 DSGVO sind Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB.
2. Eine Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f DSGVO ist nur erforderlich, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen.
3. Im Rahmen der Abwägung nach Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f DSGVO ist neben der berechtigten Erwartungshaltung der betroffenen Person maßgeblich zu berücksichtigen, ob der Verantwortliche seinen Informationspflichten nach der DSGVO gegenüber der betroffenen Person nachgekommen ist und dieser die Möglichkeit gegeben hat, ihre nach der DSGVO bestehenden Rechte wahrzunehmen.
14 Ta 410/21 (06.12.2021)
Für die Wahrung der Schriftform bei einem Prozesskostenhilfegesuch ist die eigenhändige Unterschriftsleistung weder für die Antragsschrift noch für den amtlichen Vordruck der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwingend erforderlich.
12 Ta 378/21 (06.12.2021)
1. Im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist der Unmöglichkeitseinwand grundsätzlich zu berücksichtigen.
2. Beruft sich der Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren darauf, die Beschäftigung sei ihm unmöglich geworden, weil er nach Urteilserlass eine Organisationsentscheidung getroffen habe, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes geführt habe, kommt eine Berücksichtigung nur in Betracht, wenn diese unstreitig oder offenkundig ist.
4 Sa 628/21 (01.12.2021)
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist ein Anerkenntnis auch dann noch „sofort“ im Sinne von § 93 ZPO, wenn es im Klageerwiderungsschriftsatz erklärt wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die beklagte Partei zuvor der Klageforderung streitig entgegen getreten ist. Das Scheitern des arbeitsgerichtlichen Gütetermins für sich genommen genügt dafür nicht.
14 Sa 711/21 (30.11.2021)
Enthält zum einen ein Sozialplan die Regelung, dass ausscheidende Arbeitnehmer im Jahr des Ausscheidens ein Bonus „gemäß der jeweils gültigen Bonusregelung“ anteilig gezahlt wird, und wird zum anderen in der diese Bonusregelung betreffenden Konzernbetriebsvereinbarung normiert, dass Mitarbeiter einen Bonus erhalten, „sofern das Unternehmen bzw. Unternehmenseinheit … eine Bonusgewährung vorsieht“, besteht kein Anspruch des ausscheidenden Arbeitnehmers, wenn aufgrund einer Entscheidung im Konzern auch im Unternehmen des Arbeitgebers kein Bonus für das Jahr des Ausscheidens gewährt werden wird.
4 Sa 280/21 (17.11.2021)
Es ist daran festzuhalten, dass der Arbeitgeber die Gewährung einer Invalidenrente von der zusätzlichen Voraussetzung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig machen kann, sofern die Versorgungsordnung auf einer Betriebsvereinbarung beruht.
7 TaBV 19/21 (26.10.2021)
1. Es ist ermessensfehlerfrei, wenn durch Spruch der Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans bei festgestellten wirtschaftlichen Nachteilen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer trotz vorgetragener erheblicher Bedenken zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit der beabsichtigten Regelung kein undotierter Sozialplan (sog. „Sozialplan 0“) beschlossen wird.
2. Ein „Sozialplan 0“ stellt bereits tatbestandlich keinen Sozialplan im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG dar und ist daher mit der vom Gesetzgeber in § 112 Abs. 4 BetrVG festgeschriebenen Erzwingbarkeit von Sozialplänen nicht vereinbar.
14 Ta 178/21 (24.09.2021)
Die Anordnung einer Ratenzahlung im Nachprüfungsverfahren des § 120a ZPO ist im Falle der Insolvenz einer Partei wieder möglich, wenn das Insolvenzverfahren nach Vollzug der Schlussverteilung gemäß § 200 InsO aufgehoben wurde.
2 Sa 179/21 (23.09.2021)
1. Unter Erteilen einer Lohnabrechnung in Textform im Sinne des § 108 GewO ist nicht bereits die bloße Bereitstellung in ein elektronisches Postfach zum Abruf durch ein aktives Tun des Arbeitnehmers, sondern auch deren Zugang bei Arbeitnehmer zu verstehen. Der Arbeitgeber muss daher die Lohnabrechnung so auf den Weg zum Arbeitnehmer bringen, dass sie so in seinen Machtbereich gelangt, dass er unter gewöhnlichen Umständen von der Erklärung Kenntnis nehmen konnte.
2. Die in elektronischer Form übermittelte Erklärung geht dem Empfänger nur dann zu, wenn er zuvor ausdrücklich oder konkludent zu erkennen gegeben hat, dass er mit der elektronischen Übermittlung der Lohnabrechnung einverstanden ist.
3. Die bloße Zurverfügungstellung der Lohnabrechnung in elektronischer Form zum Abruf durch den Arbeitnehmer ist keine Erfüllung der Pflicht zur Erteilung ei-ner Lohnabrechnung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB.
4 Sa 1282/19 (22.09.2021)
1. Die Inanspruchnahme tariflicher Freistellungstage nach § 25.1 Buchst. a, 1. Spiegelstrich MTV Metall NRW setzt voraus, dass der Beschäftigte regelmäßig zwischen drei oder mehr Schichten wechselt. Ein gelegentlicher Einsatz in der Nachtschicht (hier: 24 bzw. 19 Nächte im Jahr) genügt nicht.
2. Für die Inanspruchnahme tariflicher Freistellungstage nach § 25.1 Buchst. b, 2. Spiegelstrich MTV Metall NRW genügt es, dass das fragliche Kind das achte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und in häuslicher Gemeinschaft mit dem Beschäftigten lebt. Dem tariflichen Merkmal „selbst betreuen und erziehen“ kommt keine eigenständige Bedeutung zu.
3. Die Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach § 25 MTV Metall NRW ist nicht formbedürftig und verlangt keine Begründung. Es kommt nur auf das objektive Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen an. Hat ein Beschäftigter innerhalb der Frist des § 25.2 MTV Metall NRW den Freistellungsanspruch geltend gemacht und dabei als Freistellungsgrund „Schicht“ genannt, ist er nicht gehindert, sich nach Fristablauf jedenfalls auf den Freistellungsgrund „Kinderbetreuung“ i.S.v. § 25.1 Buchst. b, 2. Spiegelstrich MTV Metall NRW zu berufen (insoweit abweichend von BAG, Urteil vom 20.01.2021 – 4 AZR 286/20).
8 Sa 148/21 (16.09.2021)
1. Werden in einem Kündigungsschutzprozess der bisherige Arbeitgeber und parteierweiternd auch die vermeintliche Erwerberin gemeinsam wegen der Unwirksamkeit einer Kündigung und des Übergangs bzw. des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB in Anspruch genommen, so scheidet der Erlass eines allein das Prozessverhältnis mit der Erwerberin betreffenden Teilurteils nach dem aus § 301 Abs. 1 ZPO abzuleitenden Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil regelmäßig aus.
2. Eine Ausnahme davon kann unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes für die Erwerberin dann begründet sein, wenn ausschließlich das gegen den kündigenden bisherigen Arbeitgeber geführte Verfahren wegen Insolvenzeröffnung gemäß § 240 S. 1 ZPO unterbrochen ist. Insoweit ist auf den Zeitpunkt der Verkündung des Teilurteils und zugleich – im Sinne einer Kontrollüberlegung – auf den Zeitpunkt der Entscheidung über das gegen das Teilurteil eingelegte Rechtsmittel abzustellen. Eine bei Verkündung des Teilurteils noch nicht eingetretene, zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch Aufnahme bereits wieder beseitige Unterbrechung rechtfertigt dabei eine Durchbrechung des Gebots der Widerspruchsfreiheit ohne das Hinzutreten besonderer Einzelfallumstände regelmäßig nicht.
3. Es bleibt unentschieden, ob angesichts der für den Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess gemäß § 86 Abs. 1 InsO begründeten Aufnahmemöglichkeit ein mit der Durchbrechung des Gebots der Widerspruchsfreiheit verbundenes Teilurteil erst dann ergehen kann, wenn der klagende Arbeitnehmer nach entsprechendem gerichtlichen Hinweis die Aufnahme des Rechtsstreits entweder ablehnt oder sich insoweit nicht erklärt.
7 Ta 261/21 (03.09.2021)
Für der Bemessung des Gegenstandswertes in Verfahren nach § 100 ArbGG macht es keinen Unterschied, ob die Beteiligten über ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis oder die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle streiten.
8 Sa 1671/19 (19.08.2021)
Das Verfälschen über das eigene Arbeitsverhältnis erstellter Abrechnungen zwecks Täuschung eines Kreditgebers kann die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für die ihm übertragenen Aufgaben jedenfalls dann in Frage stellen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu den Arbeitsaufgaben gehört. Das Herstellen verfälschter Abrechnungen und deren Verwendung im Rechtsverkehr verletzt zugleich die gegenüber dem Arbeitgeber begründete Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB. Ein derartiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
4 Sa 221/21 (11.08.2021)
1. Ein vom Arbeitgeber bei der Erteilung einer Versorgungszusage erklärter Vorbehalt, bei Eintritt des Versorgungsfalls anstelle einer Rentenzahlung eine wertgleiche Auszahlung des Kapitalbetrags vorzunehmen, verstößt nicht gegen das Abfindungsverbot nach § 3 Abs. 1 BetrAVG.
2. Ist die Ausübung eines derartigen Vorbehaltsrechts nicht durch die Versorgungszusage eingeschränkt, liegt regelmäßig eine Wahlschuld nach § 262 BGB vor. Der Arbeitgeber kann in einem solchen Fall zwischen beiden Alternativen frei wählen, ohne billiges Ermessen nach § 315 Abs. 1 BGB beachten zu müssen (Abgrenzung zu BAG, Urteil vom 14.05.2019 – 3 AZR 150/17).
10 Sa 284/21 (11.08.2021)
Restricted Stock Units oder Aktienoptionen, die einem Arbeitnehmer von einem Dritten, etwa einer Konzernobergesellschaft, gewährt werden, stellen keine vertragsmäßige Leistung im Sinne der §§ 74 Abs. 2 HGB, 74b Abs. 2 HGB dar.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der Arbeitgeber neben der emittierenden Gesellschaft zumindest konkludent auch selbst vertraglich verpflichtet hat.
Einzelfallentscheidung zur Auslegung einer Abwicklungsvereinbarung: hier konkludente Verpflichtung der Beklagten abgelehnt.
13 TaBV 12/20 (18.06.2021)
Zu den Auswirkungen einer während der Zeit des Vollmandats begangenen groben Verletzung der Amtspflichten des Betriebsrates (§ 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) auf die Wahrnehmung des Restmandats nach § 21 b BetrVG.
7 TaBV 79/20 (27.07.2021)
Dem Betriebsrat steht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Initiativrecht zu (Abweichung BAG, Beschluss vom 28.11.1989, 1 ABR 97/88).
10 Sa 122/21 (16.06.2021)
Kündigt ein Arbeitgeber fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin und benennt als Beendigungstermin ein konkretes Datum mit versehentlich zu lang gewählter Kündigungsfrist, kann die Auslegung nach dem Empfängerhorizont trotz des erkennbaren, schnellstmöglichen Beendigungswillens des Arbeitgebers die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst zu dem genannten Datum ergeben.
18 Sa 1124/20 (17.05.2021)
Der Arbeitgeber verstößt nicht gegen das Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages, wenn er einen Rechtsanwalt zu den Vertragsverhandlungen hinzuzieht, einen Aufhebungsvertrag vorlegt, der nur sofort abgeschlossen werden kann und dies mit der – im Streitfall nicht widerrechtlichen – Drohung verbindet, er werde eine fristlose Kündigung aussprechen und Strafanzeige erstatten.
10 Sa 31/21 (28.04.2021)
Sagt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die Weitergabe der tariflichen Lohnerhöhungen der Metall- und Elektroindustrie NRW zu, so umfasst diese Zusage grundsätzlich nicht das in § 2 TV T-ZUG geregelte tarifliche Zusatzgeld T-ZUG (A) und T-ZUG (B), da es sich hierbei um eine Sonderzahlung eigener Art handelt.
Ein an alle Mitarbeiter gerichtetes Informationsschreiben eines Arbeitgebers über ein künftiges Konzept für ein betriebliches Bündnis für Arbeit stellt jedenfalls dann mangels Rechtsbindungswillen keine Gesamtzusage dar, wenn daraus deutlich wird, dass er zur Umsetzung des Konzepts mit den einzelnen Arbeitnehmern noch schriftliche Individualvereinbarungen vereinbaren möchte.
10 Sa 38/21 (28.04.2021)
Sagt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die Weitergabe der tariflichen Lohnerhöhungen der Metall- und Elektroindustrie NRW zu, so umfasst diese Zusage grundsätzlich nicht das in § 2 TV T-ZUG geregelte tarifliche Zusatzgeld T-ZUG (A) und T-ZUG (B), da es sich hierbei um eine Sonderzahlung eigener Art handelt.
Jedoch kann die im Einzelfall vorzunehmende Auslegung nach den für allgemeine Geschäftsbedingung geltenden Grundsätzen auch die Einbeziehung der Sonderzahlung gemäß § 2 TV T-ZUG ergeben
10 Sa 39/21 (28.04.2021)
Sagt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die Weitergabe der tariflichen Lohnerhöhungen der Metall- und Elektroindustrie NRW zu, so umfasst diese Zusage grundsätzlich nicht das in § 2 TV T-ZUG geregelte tarifliche Zusatzgeld T-ZUG (A) und T-ZUG (B), da es sich hierbei um eine Sonderzahlung eigener Art handelt.
Jedoch kann die im Einzelfall vorzunehmende Auslegung nach den für allgemeine Geschäftsbedingung geltenden Grundsätzen auch die Einbeziehung der Sonderzahlung gemäß § 2 TV T-ZUG ergeben.
7 TaBV 27/19 (09.03.2021)
Der Wohnbereich eines Seniorenzentrums kann eine „Station“ im Sinne der Vorbemerkungen zu den Leitenden Beschäftigten in der Pflege nach der Anlage 1 – Entgeltordnung – des TVöD-B darstellen (Anschluss an BAG, Beschluss vom 29.01.2020, 4 ABR 8/18)
18 Sa 1097/20 (18.03.2021)
„Tätigkeitsjahre“ im Sinne des § 3 A Abs. 2 S. 1 GTV Einzelhandel NRW sind nur Beschäftigungszeiten, die beim aktuellen Arbeitgeber zurückgelegt wurden.
1 Sa 1173/20 (12.02.2021)
Eine Versetzung stellt sich individualrechtlich als die schuldrechtliche Befugnis des Arbeitgebers dar, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Sie unterscheidet sich in tatsächlicher Hinsicht von der Erstzuweisung einer Tätigkeit dadurch, dass ihr auf der Grundlage eines bestehenden Arbeitsvertrages eine ehemalige Tätigkeit vorausgehen und eine neu zugewiesene Tätigkeit nachfolgen muss.
12 SaGa 1/21 (05.02.2021)
Macht der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis im Wege eines Antrags auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung seinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung geltend, muss er im Hinblick auf den Verfügungsgrund kein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen, wenn der Anspruch unzweifelhaft besteht.
14 Ta 9/21 (01.02.2021)
1. Eine vollständige Abweisung der beantragten Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zulässig, wenn die erforderlichen Angaben und Unterlagen bis zur Beendigung einer Instanz bzw. einer Verfahrensbeendigung ganz fehlen oder so unvollständig sind, dass eine Ermittlung des einzusetzenden Einkommens und Vermögens nicht möglich ist.
2. Das Gleiche gilt, wenn nach Eingang des Prozesskostenhilfeantrages durch den Erlass einer Entscheidung, Abschluss eines Vergleichs oder aus sonstigem Grund eine teilweise Erledigung des Rechtsstreits eintritt, bevor eine Entscheidungsreife für den erledigten Teil vorliegt. Aufgrund der Fristsetzung nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann „insoweit“ die Prozesskostenhilfe abgelehnt werden, ohne dass weitere, nach Fristablauf nachgereichte Angaben und Belege zu berücksichtigen sind.
3. Ein Zinsanspruch ist kostenneutral und erhöht den Streitwert nicht. Er rechtfertigt nicht die Gewährung von Prozesskostenhilfe bezogen auf diese Nebenforderung.
8 Ta 461/20 (29.01.2021)
1. Wird im Zusammenhang mit einem Bestandsschutzantrag ein Antrag auf künftige, wiederkehrende Leistungen (§§ 257, 258 ZPO) gestellt, ist der für diesen Antrag nach §§ 39 Abs. 1, 42 Abs. 1 S. 1 GKG anzusetzende Einzelwert nach dem Sinn und Zweck des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG nicht nach dem dreifachen Jahresbetrag, sondern in Relation zum Wert des Bestandsschutzantrags zu bemessen.
2. Bei der Wertbestimmung insoweit ist zwischen den bis zum Erlass des Urteils bzw. der sonstigen Erledigung schon fälligen Teilbeträgen und erst danach entstehenden Vergütungsansprüchen zu differenzieren. Letztere sind mit einem Monatsverdienst zu berücksichtigen (im Anschluss an LAG Hamm, Beschluss vom 8. Februar 2002 – 9 Ta 314/99 – und Beschluss vom 15. August 2007 – 6 Ta 454/07).
3. Es bleibt unentschieden, ob der neben dem Bestandsschutzantrag formulierte Leistungsantrag nach §§ 257, 258 ZPO regelmäßig, auch ohne ausdrücklich formulierte Bedingung, als unechter Hilfsantrag zu verstehen ist und ob hinsichtlich der davon erfassten, schon fälligen Teilbeträgen und dem Bestandsschutzantrag eine wirtschaftliche Identität im Sinne des § 41 Abs. 1 S. 3 GKG angenommen werden kann.
12 Ta 411/20 (25.01.2021)
Die Berichtigung eines nach § 278 Absatz 6 ZPO fegestellten Vergleichs kann nicht gemäß § 44 a BeurkG erfolgen.
8 Ta 587/20 (22.01.2021)
Die Annahme eines Titulierungsinteresses für die in einen Beendigungsvergleich integrierte Zeugnisvereinbarung setzt voraus, dass die Durchsetzbarkeit des titulierten Anspruchs aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalles gleichwohl ungewiss ist. Fehlt es daran, kann eine entsprechende Festsetzung des Arbeitsgerichts im Beschwerdeverfahren gem. § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG auch zum Nachteil des beschwerdeführenden Rechtsanwalts von Amts wegen nach unten abgeändert werden.
8 Ta 584/20 (18.01.2021)
Die Unterlassungsklage einer Führungskraft gegen streitgenossenschaftlich in Anspruch genommene, in der Hierarchie unterstellte Beschäftigte, welche auf die Unterlassung von Angaben zu den tatsächlichen Grundlagen einer Wertung zu Defiziten in der Führungskompetenz gerichtet ist, kann im Schwerpunkt vermögensrechtlicher Natur und wertmäßig deshalb in Orientierung an die Wertung des § 42 Abs. 2 S. 1 GKG zu erfassen sein. Dies kommt in Betracht, wenn die Abwendung von Nachteilen im Arbeitsverhältnis im Mittelpunkt des von der Führungskraft verfolgten Klagebegehrens steht.